UNTERNEHMEN ANGST WestGermany Berlin, 2011―2012 Rauminstallationen. Videos: Katja Czellnik, Dramaturgische Mitarbeit: Stephan Kallage

→Text/Kritik

Fotos: Nicole Timm

Etappe 1: EXPANSION, 2011 Rauminstallation. Mitarbeit: Madeleine Gebhardt, Martina von Holn. Videos: Katja Czellnik

 

„Der Riese ist wach, er ist stark, entschlossen und er weiß, was er kann und will! Evolution statt Revolution ― aber mit Tempo! Uns ist kein Berg zu hoch und kein Anstieg zu beschwerlich, so wie es auch im Lied heißt: ˋAin’t no Mountain high enoughˊ.“ ―Peter Löscher, Rede zur Jahreshauptversammlung von Siemens, 2011

[…] Die Künstlerinnen lassen das „Unternehmen Angst“ für vier Tage in den Räumen des Kunstraums arbeiten. In der Installation des fiktiven Unternehmens in den Räumen der ehemaligen Arztpraxis findet man stilisierte Möbel und Einrichtungsgegenstände aus Pappe und Rigips, die das Ambiente einer Führungsetage nachahmen. Nur zögerlich lässt man sich auf den Sitzmöbeln nieder, um die Videos von Katja Czellnik anzuschauen. Man hat Angst, sie könnten unter der Last zusammenbrechen. Was man in den Videos zu sehen bekommt, ist eine paranoide Collage, in der groteske Rezitationen von Managerreden auf Filmbilder aus dem Archiv der großen Gesellschaftsutopien treffen. Leistungssteigerung bei maximaler Risikominimierung ist der Leitgedanke, der längst nicht mehr nur Großkonzerne organisiert. Da geht es etwa um die Risikominimierungsstrategien des Unternehmen Liebe, aber auch um die marketingtechnische Präsentation des Stadtteilentwicklungskonzepts „Soziale Stadt“ des Aktionsraums Kreuzberg. Beispielhaft für Czellnik und Timm steht dafür der Gebäudekomplex am Kottbusser Tor, dessen utopische Ressourcen nur scheinbar verbraucht sind, aber mit der Rückeroberung des Gebäudes durch dieses unheimliche „WestGermany“ neu angezapft werden.  ―TAZ

 

Etappe 2: KRISE, 2011 Rauminstallation. Mitarbeit: Miren Oller, Performance: Su Lee Un & Company. Videos: Katja Czellnik

 

„Nur eine Krise ― eine tatsächliche oder empfundene ― führt zu echtem Wandel." ―Milton Friedman
Angesichts des allgegenwärtigen Scheiterns im Zentrum Kreuzberg - einst als soziale und wirtschaftliche Utopie geplant - nehmen die Zukunftsoptimismen des darin agierenden Global Managements wahnhafte, geradezu geisterhafte Züge an. Die Krise ist voll in Gang: Die Räume sind besetzt, die Manager in Geiselhaft, die Wege blockiert: Ein Zeltlager wuchert um das Unternehmen herum. Diese neue Form des Widerstands rückt das „Unternehmen Angst“ immer mehr an die Peripherie, wo es sich zu einer Art Gaddafi'scher Trutzburg zusammenrottet. Derweil senden die letzten verbliebenen Manager aus ihren Verschanzungen Durchhalteparolen an die Gesellschaft, denn „das wichtigste Kapital deutscher Unternehmen ist ihr Humankapital." (Peter F. Drucker)

 

Im WestGermany trifft das gespenstische, abstrakte Firmenkonstrukt auf Verfall, Stillstand und Anarchie: als Teil des „Zentrum Kreuzberg“, einem gescheiterten Wirtschafts- und Lebensexperiment zugleich, in dessen Kadaver die Manager unermüdlich und geisterhaft den Fortschritt postulieren… Nicole Timm nutzt die Grundrisse des Ortes, am Boden und an der Decke als Fragmente sichtbar, für die Rekonstruktion einer verlassenen Führungsetage der fiktiven Firma „Unternehmen Angst“.

Etappe 3: RESET, 2012 Rauminstallation/Raumschiff. Mit Katarina Eckold, Christian Kiehl, Lasse Marburg (Gravity give us a break) und Wilma Renfordt (Zentralregister). Videos: Katja Czellnik

 

Nach „Expansion“ und „Krise“ drückt das Unternehmen Angst die „Reset“-Taste und beamt sich per Raumschiff in die Zukunft: an Bord visionäre Denker von Rousseau über Marx bis Dutschke. Im Cockpit: die Einladung, ein eigenes Utopia zu formulieren. Im Videospiel „Gravity give us a break“ gehen die Teilnehmer auf die Reise zu einem unbekannten Planeten. Wie das Leben dort aussehen wird, entscheiden sie per Knopfdruck selbst ― die neue Welt entsteht im Baukastenprinzip. Im Vorraum des WestGermany hat sich derweil das Zentralregister für zukunftsweisende Ideen eingerichtet.

 

 

 

 

 

 

→KATJA CZELLNIK

UNTERNEHMEN ANGST WestGermany Berlin, 2011―2012 Rauminstallationen. Videos: Katja Czellnik, Dramaturgische Mitarbeit: Stephan Kallage

Fotos: Nicole Timm

„Der Riese ist wach, er ist stark, entschlossen und er weiß, was er kann und will! Evolution statt Revolution ― aber mit Tempo! Uns ist kein Berg zu hoch und kein Anstieg zu beschwerlich, so wie es auch im Lied heißt: ˋAin’t no Mountain high enoughˊ.“ ―Peter Löscher, Rede zur Jahreshauptversammlung von Siemens, 2011

[…] Die Künstlerinnen lassen das „Unternehmen Angst“ für vier Tage in den Räumen des Kunstraums arbeiten. In der Installation des fiktiven Unternehmens in den Räumen der ehemaligen Arztpraxis findet man stilisierte Möbel und Einrichtungsgegenstände aus Pappe und Rigips, die das Ambiente einer Führungsetage nachahmen. Nur zögerlich lässt man sich auf den Sitzmöbeln nieder, um die Videos von Katja Czellnik anzuschauen. Man hat Angst, sie könnten unter der Last zusammenbrechen. Was man in den Videos zu sehen bekommt, ist eine paranoide Collage, in der groteske Rezitationen von Managerreden auf Filmbilder aus dem Archiv der großen Gesellschaftsutopien treffen. Leistungssteigerung bei maximaler Risikominimierung ist der Leitgedanke, der längst nicht mehr nur Großkonzerne organisiert. Da geht es etwa um die Risikominimierungsstrategien des Unternehmen Liebe, aber auch um die marketingtechnische Präsentation des Stadtteilentwicklungskonzepts „Soziale Stadt“ des Aktionsraums Kreuzberg. Beispielhaft für Czellnik und Timm steht dafür der Gebäudekomplex am Kottbusser Tor, dessen utopische Ressourcen nur scheinbar verbraucht sind, aber mit der Rückeroberung des Gebäudes durch dieses unheimliche „WestGermany“ neu angezapft werden.  ―TAZ